Ich befürchte gerade, Astor steuert mal wieder auf einen grundsätzlichen Konflikt zu, der rechtzeitig in einem "Time-out" angesprochen werden sollte:
Zu meiner großen - zunächst rein auf die Fortentwicklung der in Astor behandelten Inhalte bzw. die Wiederentdeckung von in Astor behandelbaren Inhalten bezogenen - Freude, hat unser Mitspieler hinter der ID "Henry F. Remington" das Thema der sozialen Sicherung (wieder) aufs Tableau gebracht, in dessen Bearbeitung prinzipiell großes Potenzial für Astor steckt.
Leider aber nur "prinzipiell", denn wir leben eben nicht mehr im Zeitalter der Jahrtausendwende, sondern mittlerweile im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, in dem manche Dinge unnötig - wenn nicht gar fälschlicherweise wahrgenommen - komplizierter geworden sind als früher.
Als eine der vermutlich sowohl lebens- (* 1978), als auch dienstältesten Spielerinnen hier (in den Micronationen mit Unterbrechungen seit 1999 dabei), kenne ich die Micronationen noch aus einer Zeit, in der sich die Politiksimulation um Fantasie und logisches Denken drehte: Die ideologischen Distanzen waren weit, die Gräben tief, aber das Reservoir an Argumenten für die Diskussion war quasi unerschöpflich.
So waren wir MN'ler der "ersten Stunde" nun mal noch sozialisiert und politisiert worden: Die Bezugsquellen für Fakten waren schlicht begrenzt - es gab Bücher, Zeitungen, politische Fernsehmagazine usw. -, wichtiger noch, als was man wusste, war aber, wie man sein Wissen und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen und Argumente präsentieren konnte. Es zählten eben logisches Denkvermögen, Fantasie und rhetorisches Können.
Mittlerweile herrscht im Internet (und den Micronationen) jedoch die von mir spöttisch so genannte "Generation Wikipedia": Leute, die glauben, wenn in den Fußnoten zu einem Text durch zwei bis drei Quellen irendwas anegblich "belegt" wird, sei das die philosophisch unumstößliche "Wahrheit."
Die Micronationen haben darunter spürbar gelitten, indem sie auf das reale Leben bezogen "scheindidaktischer" wurden: Die großen ideologischen Redeschlachten verschwanden, weil die nachfolgenden micronationalen Generationen mehr und mehr dem Glauben verhaftet waren, Diskussionen über "Ideen" seien sinnlos, es gäbe doch stets messbare "Fakten." Und wo es die mal nicht gäbe, sei sowieso jede Diskussion zwecklos, bis es sie gäbe.
Konkretes Beispiel: Von den späten 1990ern bis in die frühen 2000er hinein haben in den MNs Konservative und Rechtsliberale, Linksliberale, Sozialdemokraten und Sozialisten, kreativ und engagiert über Gesetze zum Arbeitsmarkt, Maßnahmen zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit usw. gestritten. Denn so kannten wir das: Wir haben eben in Ideen, in gedanklichen Konzepten gedacht. Empirische "Beweisbarkeit" hielt niemand für eine relevante Größe. "Recht" hatte (vorübergehend), wer (vorübergehend) mehr Unentschlossene mit seinen Argumenten überzeugen konnte.
Irgendwann gegen Mitte der 2000er hin galt das dann allmählich als "altmodisch", weil man "im Internet ja alles recherchieren konnte" - zu allem gab es eine irgendwo als Quelle verlinkte Graphik, Tabelle, Untersuchung usw. Der argumentative Wettstreit um gedankliche Ideen geriet selbst in den Micronationen (!) als "Spinnerei" in Verruf, als Ausdruck moderner Vernunft galt es, (vermeintlich oder tatsächlich) empirische "Quellen" zu zitieren. Und wo es keine solchen gab, stand jede Diskussion im Ruf der Sinnlosigkeit, da sie ja sowieso zu keinem (scheinbar) verifizierbaren "Ergebnis" führen konnte.
Überwunden ist dieses Denken meines Erachtens - aller wieder positiveren Entwicklungen zum Trotz - noch längst wieder, denke ich allein an etwa diese Kongressdebatte zurück: Anstatt das gedankliche Für und Wider der staatlichen Förderung alternativer Fahrzeugantriebe zu diskutieren, haben einige Mitspieler lieber beklagt, es gäbe ja keine WiSim, die Steuereinnahmen produziert, aus denen die entsprechenden Kosten bestritten werden können usw.
Entsprechend befürchte ich, auch eine Diskussion über ein System sozialer Sicherung, wird sich weniger um dessen Sinn und Zweck, Inhalt und Umfang, (theoretische) Finanzierung usw. drehen, als darum, dass "wir ja keine WiSim haben, und man ohne WiSim so was sowieso nicht regeln kann und es somit eh sinnlos ist, und auch mit WiSim keinen wirklichen Sinn hat, weil man an der WiSim ja nicht teilnehmen muss, und ohnehin keine Lebenshaltungskosten anfallen, usw."
Ergebnis wäre meines Erachtens: Astor macht sich mal wieder selbst zum Kaninchen, das die mehrköpfige (WiSim, Didaktik usw.) Schlange anstarrt, anstatt als Löwe aufzutreten, der sich mutig auf Ideen, Ausgestaltung und Diskussionen stürzt ...